Medienspiegel
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Auflage: 7 500
J A Z Z ‘ N ‘ MO R E
R E V I E W
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24. Langnau Jazz Nights, Kupferschmiede, 22. – 26.7.2014 – Geballte Ladung
Südtirol Jazzfestival 2014, 27.6. – 6.7.2014 – Jazz an und in der Felswand
Hier steht der Jazz nicht bloss auf dem Pla-
kat, sondern auch auf der Bühne: An kei-
nem anderen Schweizer Sommerfestival
ist die amerikanische Jazzprominenz besser
vertreten als in Langnau.
Und es waren auch dieses Jahr vor allem einige
grosse New Yorker Namen, welche für die Höhe
punkte sorgten. So etwa der 45jährige Tenorsaxo
phonist Joshua Redman, der allerdings einen Abend
danach auch in St. Moritz zu hören war. Redman,
der Sunnyboy der New Yorker Clubszene, lächelt
nicht nur immer freundlich ins Publikum; er ist auch
ein hervorragender Musiker, der die Zuhörer weder
mit Hypervirtuosität noch mit allzu schwieriger Mu
sik überfährt. Ein Melodiker, der schöne Songs und
verträumte Balladen liebt und seine Melodiegirlan
den entspannt und locker über die Changes hängt,
der gefällig, aber nie banal spielt und die Zuckerdo
sis für sein Publikum perfekt dosiert.
Gern hätte man auch den 68jährigen schizophre
nen Flügelhornisten Tom Harrell mit Redman an
statt seinem eigenen Saxophonisten Wayne Escof
fery gehört. Harrell, nach Art Farmer der brillanteste
und geschmackvollste Flügelhornist weltweit, spiel
te ebenfalls mit Vorliebe Balladen, Standards und
einfache Eigenkompositionen, aber seine Soli sind
umwerfend, von höchster Eleganz, Raffinesse und
technischer Virtuosität. Dies fehlt Escoffery, er hetzt
in atemlosem Tempo durch Tonskalen und Akkord
brechungen, als wäre der leibhaftige Coltrane hinter
ihm her.
Natürlich gibt es auch an solch hochkarätigen Festi
vals Enttäuschungen. Die grösste war diesmal der
Auftritt von Dave Hollands "Prism"Quartett. Der
67jährige Engländer, der bei Miles Davis als Bas
sist und Anfang der 70er Jahre auch als Komponist
und Bandleader berühmt wurde, knüpft mit seiner
"Prism"Gruppe erstmals nach vielen Jahren wieder
beim Electric Jazz seiner frühen Jahre bei Davis an,
freilich mit 30 Jahren mehr Erfahrung und mit jun
gen Musikern wie dem Pianisten Craig Taborn oder
dem Gitarristen Kevin Eubanks. Vielleicht hatte der
Meister in Langnau einfach keine Lust, sich mehr als
Routine einfallen zu lassen. Diesem "Dienst nach
Vorschrift", dem sich über weite Passagen auch sei
ne Mitmusiker anschlossen, leisten die ganz nach
den "alten" RockJazzMustern gestrickten Kompo
sition allerdings auch Vorschub; sie sind nicht sel
ten nach einer Art Baukastensystem konstruiert:
Man stelle sich vor: Da klettern bestandene
Alpinisten an einer Steilwand mit hohem
Schwierigkeitsgrad an der Sasslong in den
Südtiroler Dolomiten herum, ein paar Me-
ter unter ihnen die zwei Bläser Matthias
Schriefl (tp) und Cédric Favresse (sax), wei-
ter unten, immer noch auf immerhin 2500
Metern, Andreas Schaerer (voc), Lucas
Niggli (dr) und Kalle Kalima (g), die gebannt
auf die Eskapaden der Alpin-Artisten achten
und ihre Improvisationen genau nach deren
Bewegungen ausrichten.
Da kann es schon einmal geschehen, dass ein Klet
terer bei einem Vorsprung abrutscht und ins Ret
tungsseil fällt, was von den Musikern sehr emotional
wiedergegeben wird. Der Haken an der Geschichte
war das Wetter, das gerade einmal eine Perfor
mance von 35 Minuten zuliess, bevor es zünftig zu
regnen begann. Die Show der Fallschirmspringer
war schon des Windes wegen abgeblasen worden.
Es war ein originelles Unterfangen, das in die Ge
schichte des Jazz eingehen dürfte. Der Initiator und
Organisator dieses irrwitzigen Auftritts, Klaus Wid
mann, hat jedenfalls am Morgen bei noch besseren
Verhältnissen die Hauptprobe von einem Filmteam
aufzeichnen lassen. Wer weiss, vielleicht bekom
men wir den Film sogar auf SRF zu sehen: Er wäre
es wert!
Französische Nacht mit Vincent Peirani
Neben diesem wahrlich als Special Event zu defi
nierenden Auftritt bot das 32. Jazzfestival Südtirol
vom 27. Juni bis zum 6. Juli 2014 über 50 Konzer
te mit gut 120 Musikern auf 44 Bühnen vor rund
20’000 Zuschauern. Der Auftakt des Festivals im
Stadttheater Bozen bot dem französischen Akkor
deonisten Vincent Peirani (Träger des Prix Django
Reinhardt für den besten französischen Jazzmusiker
2013) eine Carte Blanche. Peirani bot ein abendfül
Man kombiniert ein bestimmtes Rhythmuspattern,
eine repetitive Bassfigur, ein rockiges Gitarrenriff,
einige Melodiepartikel und fügt diese Elemente
dann zu grösseren Strukturen zusammen, die man
in besseren Tagen mit hochfliegenden Ideen, Esprit
und inspiriertem Zusammenspiel zum Leben bringt,
in schlechten Tagen aber einfach abschreiten kann.
Ebenfalls etwas enttäuschend die Brecker Brothers
Band Reunion. Sie spulte ihre "Show", all die alten
Hits und Knüller der 70er Jahre mit rasender Ge
schwindigkeit, absoluter Virtuosität und gleichsam
tödlicher Routine herunter, als ginge es bloss dar
um, dass alles möglichst genau so klingt wie da
mals.
Entschädigt wurde man durch das Quartett Baida
des Trompeters Ralph Alessi mit dem Gastsaxopho
nisten Greg Osby: Die New Yorker spielen eine
hochartifizielle, intellektuelle Variante der weissen
BrooklynAvantgarde: Komplex konstruierte, bis ins
letzte Detail ausgeklügelte Kompositionen über
dicht getrommelte Polyrhythmen ohne den gän
gigen federnden Jazzswing der Becken. Die Soli:
asymmetrische Melodiefragmente, die in immer
wieder neuen Anläufen zusammenmontiert, wieder
auseinandergerissen und neu montiert werden. Eine
Musik, die hohe Konzentration erfordert. Und ge
wiss auch ein Manifest gegen all den gefälligen Re
vival und WohlfühlJazz, mit dem die grossen La
bels derzeit die Szene fluten.
lendes Programm mit dem Aufeinanderfolgen von
mehreren seiner Formationen und eroberte sich die
Herzen des Publikums mit Charme und Können, was
mit einer Standing Ovation verdankt wurde. Kern
formation dieser französischen Nacht war die ältes
te Formation Peiranis, das Living Being Quintett,
bestehend aus Emile Parisien (sax), Julien Herne
(eb), Tony Paeleman (keyb, p) und Yoann Serra (dr,
perc).
Die Perlen dieser Formationen waren zwei Duos,
das eine mit dem Saxophonisten Emile Parisien, mit
dem er 2014 das Album ”Belle Epoque” (ACT) im
Duo herausgegeben hat, das andere mit dem Cellis
ten François Salque. Starke Emotionen löste auch
das Trio mit Parisien und der Sängerin Serena Fis
seau aus. Die Französin mit indonesischen Wurzeln
bewegt sich souverän in verschiedenen musikali
schen Kulturräumen und singt ebenso ergreifend
brasilianische Texte wie französische Chansons.
Sehr zu gefallen verstand auch Airelle Besson (tp),
die sowohl in Peiranis Revue als auch im Duo mit
dem Gitarristen Nelson Veras tags darauf im akus
tisch hervorragenden Museion mit einem sehr ei
genständigen Ton und anspruchsvollen Kompositio
nen auffiel.
Peirani gab noch weitere Konzerte, solo auf dem Vi
giljoch, mit dem Living Being Quintett auf der Piazza
in Brixen, im Trio mit Parisien und Fisseau in Meran.
Der Programmleiter Klaus Widmann setzte dieses
Jahr sehr auf die französische Szene, deren Innova
tionskraft und Lebendigkeit zurzeit wohl nur wenig
Konkurrenz hat. Weiter waren zu sehen etwa der
Gründer und Motor des vitalen Kollektivs Coax, die
Faux Frères, das Didier Levallet Quintet, das Damen
duo Myssil mit Sylvaine Hélary (fl) und Noémi Bou
tin (v) mit dem Programm für ”Flöte, Stimme, Ohr
feigen, Geige und Wasserhahnen”, sowie Ping Ma
chine. Mit Ausnahme der Megastars Chick Corea im
Duo mit Stanley Clarke verzichtete Widmann auch
dieses Jahr auf grosse Namen und bekam durch
den weiter steigenden Erfolg recht.
Ruedi Ankli
Ganz anders zum Festivalbeginn der Pianist Kenny
Werner. Er gehört nicht zu den Superstar der Szene,
ist aber ein hochbegehrter Musician's Musician, der
mit allen möglichen Koryphäen zwischen Charles
Mingus und Archie Shepp, Jack DeJohnette und
Dave Douglas gespielt hat und in allen möglichen
Pianostilistiken zu Hause ist. Sein Trio mit dem Bas
sisten Johannes Weidenmüller und dem Schlagzeu
ger Ari Hoenig gehörte zum Besten des diesjähri
gen Festivals: So innig, so inspiriert und spielfreudig
war sonst keine andere Gruppe. Und: Wie Ari Hoe
nig Werners Ideen aufgriff, kommentierte, ergänzte,
weiterspann, zurückspielte – dieses blitzschnelle
raffinierte Hin und Her zwischen Piano und Schlag
zeug, das ist kaum zu überbieten.
Christian Rentsch
Vincent Peirani Ensemble
Kenny Werner
Joshua Redman
FOTOS: DRAGAN TASIC/NGA.CH
FOTO: RUEDI ANKLI