Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2015 - page 23

Medienspiegel
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meinsame Kreativität geringer. Je mehr Mu-
siker zusammenspielen, desto schwieri- ger
die Interaktion.
Viele Bad-Plus-Stücke lassen an einen nar-
rativen Hintergrund denken: zum Beispiel
«The Empire Strikes Backwards» oder
«Keep The Bugs Off Your Glass and the Be-
ars Off Your Ass». Was hat es mit solchen
Titeln auf sich?
Es gibt verschiedene Erklärungsmöglich-
keiten – aber wir überlassen es dem Zuhö-
rer, die Titel zu interpretieren.
Sie sind ja als grosser Krimi-Fan bekannt.
Geht es auch im Jazz, in der Improvisation
darum, spannende Geschichten zu erzäh-
len?
Wir drei von The Bad Plus sind Kino-Fans.
Und in unserer Musik gibt es oft ein ci-
neastisches Element. Manchmal klingen
unsere Stücke wie die Musik eines Sound-
tracks. Für unsere Musik gilt wohl schon,
dass man etwas Erzählerisches heraushören
kann. Tatsächlich heisst es unter improvi-
sierenden Jazz-Musikern oft: Erzähl eine
Geschichte! Der Schlagzeuger Art Blakey
etwa verlangte einen narrativen Aufbau der
Solos – vom einfachen Beginn hin zu einem
dramatischen Höhepunkt. Ich selber bin da
vorsichtig. Ich glaube nicht, dass man bei ei-
nem Solo von Charlie Parker von Erzählung
sprechen kann. Es geht eigentlich mehr um
den Moment, um die rhythmische Verdich-
tung.
The Bad Plus ist mit Coverversionen be-
rühmter Rock- und Pop-Songs bekannt
geworden . . .
Genau! Ich bin stolz auf all
diese Covers auf unseren Alben. Und wenn
man uns zum Beispiel «Iron Man» von
Black Sabbath spielen hört, hört man auch
gleich heraus, worum es in der Musik von
The Bad Plus geht. Eigentlich sind wir ja
nicht die ersten Jazzer, die Rocksongs co-
vern. Das wird schon lange gemacht. Aber
offenbar gibt es in unseren Versionen etwas,
das plausibel und originell klingt. Der Rock-
Einfluss in unserer Musik ist gross, am bes-
ten hört man das meiner Meinung nach aber
aus unseren eigenen Kompositionen heraus,
da gibt es viele Bezüge zu Indie-Rock. Auch
zu Electronica.
Wenn Sie heute Pop-Songs interpretieren
– ist das zu vergleichen mit früheren Ge-
nerationen von Jazz- musikern, die etwa
Musical-Melodien spielten?
In beiden Fäl-
len kennt das Publikum die Melodie bereits,
über die dann improvisiert wird.
Ich würde noch weiter zurückgehen – etwa
zu Franz Liszt, der ein leichtes Stück nahm,
um an einem Fest etwas zu improvisieren.
Darum ging es immer bei Variationen und
Improvisationen: Man nahm ein bekann-
tes Stück und zeigte dann ein paar coole
Tricks. Dennoch muss man unterscheiden:
Beim Standard ist die Spielweise in einem
anderen Masse vorgegeben, als wenn man
als Jazzer einen Black-Sabbath-Titel in-
terpretiert. Letzteres, glaube ich, geht nur
mit einem adäquaten Arrangement. Und so
kann man bei einer Jam-Session auch nicht
einfach einen Nirvana-Titel vorschlagen
– auch wenn ihn alle kennen, geht das nur
mit speziellem Arrangement. Das Problem
ist, dass die Rock- und Pop-Kompositionen
zumeist nicht für Piano, sondern für Gitarre
geschrieben sind.
Letztes Jahr haben Sie mit The Bad Plus
das Album «The Rite Of Spring» herausge-
bracht, Ihre Interpretation von Strawinskys
«Le Sacre du printemps». Und in Ihrem Blog
«Do The Math» schrieben Sie dann, nichts
sei Ihnen derzeit wichtiger als die Aus- ein-
andersetzung mit neuer Klassik.
Obwohl ich als Jugendlicher zu Hause
kaum klassische Musik zu hören bekam,
faszinierten mich die neuen Klänge, die ich
zum Beispiel in Soundtracks von Science-
Fiction-Filmen hörte. Ich mochte verrück-
te, dissonante Stücke, Jahre bevor ich mich
professionell mit Musik beschäftigte. Nun
aber reizt mich die praktische Auseinander-
setzung mit moderneren Kompositionen.
Und das Gute an The Bad Plus ist, dass mit
dieser Band einfach alles möglich ist. Auf
«The Rite Of Spring» improvisierten wir
übrigens nicht. Es wäre zu riskant, die Kom-
position in Jazzimprovisation zu übersetzen;
man könnte ihren Geist verfälschen. Jeden-
falls sehe ich das heute so. Vielleicht bin ich
später gelassen genug, über gewisse Teile zu
improvisieren.
Ethan Iverson, Sie waren vor Jahren Lea-
der eines eigenen Piano-Trios. Unterdessen
aber kennt man Sie vor allem als Pianist des
Trios The Bad Plus. Was ist der Unterschied
beider Formationen?
The Bad Plus ist etwas ganz anderes. Hier
bin ich froh um zwei geniale Co-Leader, den
Bassisten Reid Anderson und den Schlag-
zeuger Dave King. So sind es drei Personen,
die sich die ganze Arbeit teilen. Das ist viel
besser, als wenn man für alles alleine ver-
antwortlich ist. Die Kollegen kümmern sich
um zahlreiche ästhetische oder technische
Fragen, in denen ich mich nicht sicher fühle.
Dave ist zuständig für die ganze Cover-Art,
Reid bestimmt, wie wir unsere Musik auf-
nehmen, wie die Aufnahmen klingen sollen.
Im Unterschied zu den meisten Jazzformati-
onen gibt es keinen Bandleader bei The Bad
Plus – hat sich das einfach so ergeben?
Nein, es war eine sehr bewusste Entschei-
dung, diese Gruppe demokratisch zu führen.
Das gilt allerdings auch für andere Formati-
onen, in denen ich mitspiele; etwa für das
Quartett Buffalo Collision [mit Tim Berne,
Hank Roberts, Dave King], wo wir durch-
wegs frei improvisieren. Da bewährt sich
die musikalische Demokratie erst recht.
Verstehen Sie Jazz als demokratische Mu-
sik?
Na ja, man muss das von Fall zu Fall an-
schauen. Man kann aber sicherlich sagen,
dass Bassisten und Schlagzeuger den Sound
in vielen Bands und im Speziellen in den be-
deutenden Piano-Trios mitbestimmt haben.
Ich glaube nicht, dass ein Ahmad Jamal dem
Bassisten Israel Crosby oder dem Drummer
Vernel Fournier sagte, was sie zu spielen
hatten. Der Sound einer Band ist immer der
Sound aller Musiker, die zusammenspielen.
Insofern ist es nicht gerecht, wenn Trios
bloss den Namen des Pianisten tragen. Man
sollte gar nicht von Piano-Trios sprechen,
sondern von Piano-Bass-Drums-Trios.
Seit Jahren ist das Trio im Jazz sehr präsent.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich glaube, dass im heutigen Jazz der Ak-
zent vermehrt auf Interaktion, auf Interplay
gelegt wird – dafür ist das Trio einfach ide-
al. In einem Sextett ist der Raum für die ge-
Vorwärts und rückwärts
Ein Interview mit dem amerikanischen Jazzpianisten und Blogger Ethan Iverson
Freitag, 19. Juni 2015
V
Nr. 139
Neuö Zürcör Zäitung
Vorwärts und rüc
Ein Interview mit dem amerikanischen Jazzpianisten
Ethan Iverson, Sie waren vor Jahren Leader eines
eigenen Piano-Trios. Unterdessen aber kennt man
Sie vor allem als Pianist des Trios The Bad Plus.
Was ist der Unterschied beider Formationen?
The Bad Plus ist etwas ganz anderes. Hier bin ich
froh um zwei geniale Co-Leader, den Bassisten
Reid Anderson und den Schlagzeuger Dave King.
So sind es drei Personen, die sich die ganze Arbeit
teilen. Das ist viel besser, als wenn man für alles
alleine verantwortlich ist. Die Kollegen kümmern
sich um zahlreiche ästhetische oder technische Fra-
gen, in denen ich mich nicht sicher fühle. Dave ist
zuständig für die ganze Cover-Art, Reid bestimmt,
wie wir unsere Musik aufn hmen, wie die Aufnah-
men klingen sollen.
Im Unterschied zu den meisten Jazzformationen
gibt es keinen Bandle der bei The Bad Plus – hat
sich das einfach so ergeben?
Nein, es war eine sehr bewusste Entscheidung,
diese Gruppe demokratisch zu führen. Das gilt
allerdings auch für andere Formationen, in denen
ich mitspiele; etwa für das Quartett Buffalo Colli-
sion [mit Tim Berne, Hank Roberts, Dave King],
wo wir durchwegs frei improvisieren. Da bewährt
sich die musikalische Demokratie erst recht.
Verstehen Sie Jazz als demokratische Musik?
Na ja, man muss das von Fall zu Fall anschauen.
Man kann aber sicherlich sagen, dass Bassisten und
Schlagzeuger den Sound in vielen Bands und im
Speziellen in den bedeutenden Piano-Trios mitbe-
stimmt haben. Ich glaube nicht, dass ein Ahmad
Jamal dem Bassist n Israel Crosby oder dem
Drummer Vernel Fournier sagte, was sie zu spielen
h tten. Der Sound iner Band ist immer der Sound
aller Musiker, d e zusa menspielen. Insofern ist es
nicht gerecht, wenn Trios bloss den Namen des Pia
ni ten tragen. Man sollte gar nicht von Piano-Trios
sp echen, sondern von Piano-Bass-Drums-Trio .
Seit Jahren ist das Trio im Jazz sehr präsent. Haben
Sie eine Erklärung dafür?
Ich glaube, dass im heutigen Jazz der Akzent ver-
mehrt auf Interaktion, auf Interplay gelegt wird –
dafür ist das Trio einfach ideal. In einem Sextett ist
der Raum für die gemeinsame Kreativität geringer.
Je mehr Musiker zusammenspielen, desto schwieri-
ger die Interaktion.
Viele Bad-Plus-Stücke lassen an einen narrativen
Hintergrund denken: zum Beispiel «The Empire
Strikes Backwards» oder «Keep The Bugs Off Your
Glass and the Bears Off Your Ass». Was hat es mit
solchen Titeln auf sich?
Es gibt verschiedene Erklärungsmöglichkeiten –
Masse vorgegeben, als wenn man als Jazzer einen
Black-Sabbath-Titel interpretiert. Letzteres, glau-
be ich, geht nur mit einem adäquaten Arrange-
ment. Und so kann man bei einer Jam-Session auch
nicht einfach einen Nirvana-Titel vorschlagen –
auch wenn ihn alle kennen, geht das nur mit spe-
ziellem Arrangement. Das Problem ist, dass die
Rock- und Pop-Kompositionen zumeist nicht für
Piano, sondern für Gitarre geschrieben sind.
Letztes Jahr haben Sie mit The Bad Plus das Album
«The Rite Of Spring» herausgebracht, Ihre Interpre-
tation von Strawinskys «Le Sacre du printemps».
Und in Ihrem Blog «Do The Math» schrieben Sie
Ja, auch das ist ein
hat eben viel mit de
tun: Als Jazz aus d
schen Kultur fiel, t
zur Musik von Mo
Hop und so weiter.
immer die Schwar
kommen, zu dene
war 1920 so – und
Ist die afroamerik
heutigen Jazz? Es
ker wie der Pianist
Pop in ihre Musik i
Ethan Iverson spielt Kom ositione von Nirvana und Strawinsky. Ebenso
Auflage: 124 000
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24
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