Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2015 - page 24

Medienspiegel
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Sie beschäftigen sich bald mit Rock, bald
mit Klas- sik. Führt der heutige Jazz denn
stets zu Grenz- gängen und Fusionen?
Als Praktiker kann ich da keine allgemeinen
Aussagen machen. Ich spiele einfach Mu-
sik, die mich interessiert. Aber ich würde
doch sagen, dass man sich irgendwie mit
Rock und Pop auseinander- setzen muss,
man sollte diese zeitgemässen Sounds nicht
ignorieren. Es wäre mir aber lieb, wenn man
The Bad Plus etwas weniger mit Kurt Co-
bain in Verbindung bringen würde und et-
was häufiger mit dem Ahmad Jamal Trio,
das mich vielmehr beeinflusst hat und das
auch eine Art Instrumental-Pop-Musik
spielte und Hit-Platten herausbrachte. Das
scheint heute ja kaum mehr möglich. Es ist
eben ein Problem des zeitgenössischen Jazz,
dass es sich immer mehr um Musik für Mu-
siker handelt – so wird daraus eine ziemlich
dünn besiedelte Sphäre.
Sie haben auch schon für Tanztheater-En-
sembles gearbeitet – deshalb die Frage: Wo
ist eigentlich der Tanz geblieben im Jazz?
Ja, auch das ist ein grosses Problem! (Er
lacht.) Das hat eben viel mit der afroame-
rikanischen Kultur zu tun: Als Jazz aus dem
Rahmen der afroamerikanischen Kultur fiel,
tanzte man da weiter – nun aber zur Musik
von Motown, später zu Funk, zu Hip- Hop
und so weiter. In Amerika ist es eben so,
dass immer die Schwarzen mit den hippen
Rhythmen kommen, zu denen dann ganz
Amerika tanzt. Es war 1920 so – und es ist
heute immer noch so.
Ist die afroamerikanische Kultur zu peri-
pher im heutigen Jazz? Es gibt doch immer-
hin noch Musiker wie der Pianist Robert
Glasper, die Soul und Pop in ihre Musik in-
tegrieren . . .
Ja, ich bin sehr froh über das, was Glasper
versucht, es ist genau die richtige Idee. Es
braucht mehr Musiker wie ihn, die in die-
se Richtung gehen. Wir hatten genug John
Zorns (er lacht) . . . Ich bin eigentlich ein
Zorn-Fan, aber we’ve got that shit covered!
Es braucht mehr Robert Glaspers!
Eine ganz andere Frage: Nicht wenige Jazz-
musiker befürchten, dass Download und
Streaming Musik- traditionen wie dem Jazz
den Garaus machen könnten. Teilen Sie die-
se Befürchtungen?
Ehrlich gesagt, habe ich nie wirklich darü-
ber nachgedacht. Und ehrlich gesagt staune
ich immer noch, dass es mir überhaupt mög-
lich ist, im Jazz eine Karriere zu machen
und von Jazz zu leben. Ich bin immer noch
erstaunt, dass man mir genügend bezahlt
für die Musik. Ich selber streame nicht, ich
kaufe CD, ich mag die Covers, und ich lese
gerne Liner-Notes.
Die Krise des Musikbusiness dürfte aber
auch für Sie Konsequenzen haben?
Im Falle von The Bad Plus ist es eben so,
dass wir quasi noch vom letzten Hauch der
alten Musikindustrie profitieren konnten.
Uns hat die Major-Plattenfirma Sony 2003
unter Vertrag genommen und noch richtig
gepusht. Aber tatsächlich hätte eine Band
wie The Bad Plus heute diese Chance wahr-
scheinlich nicht mehr.
In Ihrem Blog haben Sie geschrieben, Sie
gingen musikalisch ebenso gerne vorwärts
wie rückwärts – wohin führen Sie diese
Richtungen?
Ich habe kürzlich wieder einmal Aufnahmen
des Pianisten James P. Johnson gehört. Ich
kenne seine Musik ziemlich gut, ich habe
auch über ihn geschrieben. Sein Klavierspiel
ist so tiefschürfend und rhythmisch so faszi-
nierend, dass ich zu behaupten wage, das Pi-
anospiel sei im heutigen Jazz technisch und
musikalisch nicht mehr auf dem gleichen
Niveau. Pianisten wie Art Tatum, Earl Hi-
nes, Fats Waller, Teddy Willson hatten mehr
Fähigkeiten als die Vertreter des Modern-
Jazz-Pianos. Das liegt wohl daran, dass sie
unterschiedlichen Aufgaben gerecht werden
mussten – sie spielten solo, sie spielten zum
Tanz auf, in der Kirche und so weiter. Sie
spielten einfach sehr viel Verschiedenes.
Das zeigt sich übrigens auch noch bei The-
lonious Monk: Er gilt ja nicht als technisch
besonders versiert. Was er aber in seinen So-
lo-Aufnahmen an rhythmischer und expres-
siver Virtuosität vorzuweisen hat, geht über
das hinaus, was neun von zehn berühmten,
zeitgenössischen Jazzpianisten zu bieten ha-
ben. Ich denke oft an die alten Virtuosen. Da
gibt es noch unglaubliche Ressourcen für
das Jazz-Piano-Spiel. Und das also ist der
Grund, weshalb ich gerne zurückschaue.
Und wohin führt die Reise vorwärts?
Ich spiele weiterhin mit The Bad Plus, wir
bringen ein Album mit dem Saxofonisten
Joshua Redman heraus. Ich bin stolz, dass
The Bad Plus einerseits so unverwechselbar
klingt, andrerseits von einem breiten Publi-
kum geschätzt wird. «Man muss nichts von
Jazz verstehen: Wer Musik mag, mag The
Bad Plus.» Das ist nicht alltäglich in unserer
fragmentierten Kultur. Ich spiele daneben
aber weiterhin auch in anderen Formatio-
nen: Ich spiele im Trio des Drummers Al-
bert Tootie Heath. Und ich bin Pianist im
Quartett von Billy Hart.
Was bedeutet es Ihnen, mit diesen legendär-
en Schlagzeugern zu musizieren?
Heat pflegt die Tradition, während Hart
immer noch nach neuen Ausdrucksformen
sucht. Ich glaube, ich habe dank dem Zu-
sammenspiel mit beiden als Musiker mehr
Tiefe gewonnen. Es kann ja ein Problem
sein, wenn man sich mit so unterschiedli-
cher Musik wie Bebop, «Sacre du Print-
emps», modalem Jazz und Rockmusik be-
schäftigt. Jedes einzelne Feld beansprucht
eigentlich ein ganzes Leben. Da muss man
aufpassen, dass man sich nicht auf der Ober-
fläche verliert. Deshalb bin ich froh, wenn
ich von solchen Musikern lernen kann. Das
ist auch ein Grund, warum ich kein eigenes
Trio führe: Es fehlte die Zeit, von andern zu
lernen.
Interview: Ueli Bernays 
ETHAN IVERSON
Berühmt geworden ist Ethan Iverson mit
The Bad Plus: Das Piano-Trio hat sich mit
Interpretationen von Nirvana-Songs ebenso
profiliert wie mit der Bearbeitung von Igor
Strawinskys «Le Sacre du printemps». Zu-
sammen mit dem Saxofonisten Joshua Red-
man hat die Band soeben eine CD herausge-
bracht. In dieser Besetzung wird die Band
im Sommer am Montreux Jazzfestival (14.
Juli) und an den Langnau Jazz Nights (22.
Juli) auftreten. Dass der 42-jährige Ameri-
kaner zu den bedeutendsten Jazzpianisten
seiner Generation zählt, bewies er auch mit
Formationen unter seinem Namen sowie an
der Seite der Schlagzeuger Billy Hart und
Albert «Tootie» Heath. Ethan Iverson hat
sich auch als Jazz-Theoretiker hervorgetan
– vorab mit seinem Blog «Do The Math».
CD: The Bad Plus Joshua Redman (None-
such/Warner). – Albert Heath: Philadelphia
Beat (Sunnyside).
POP UND JAZZ 47
Neuö Zürcör Zäitung
ts u d rückwärts
erikanisch n Jazzpianisten u d Blogg r Etha Iverson
an als Jazzer einen
rt. Letzteres, glau-
äquaten Arrange-
r Jam-Session auch
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t das nur mit spe-
blem ist, dass die
zumeist nicht für
hrieben sind.
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acht, Ihre Interpre-
cre du printemps».
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chtiger als die Aus-
Ja, auch das ist ei grosses Problem! (Er lacht.) Das
hat eben viel mit der afroamerikanischen Kultur zu
tun: Als Jazz aus dem Rahmen der afroamerikani-
schen Kultur fiel, tanzte man da weiter – nun aber
zur Musik von Motown, später zu Funk, zu Hip-
Hop und so weiter. In Amerika ist es eben so, dass
immer die Schwarzen mit den hippen Rhythmen
kommen, zu denen dann ganz Amerika tanzt. Es
war 1920 so – und es ist heute immer noch so.
Ist die afroamerikanische Kultur zu peripher im
heutigen Jazz? Es gibt doch immerhin noch Musi-
ker wie der Pianist Robert Glasper, die Soul und
Pop in ihre Musik integrieren . . .
Ja, ich bin sehr froh über das, was Glasper versucht,
Plattenfirma Sony 2003 unter Vertrag genommen
und noch richtig gepusht. Aber tatsächlich hätte
eine Band wie The Bad Plus heute diese Chance
wahrscheinlich nicht mehr.
In Ihrem Blog haben Sie geschrieben, Sie gingen
musikalisch ebenso gerne vorwärts wie rückwärts –
wohin führen Sie diese Richtungen?
Ich habe kürzlich wieder einmal Aufnahmen des
Pianisten James P. Johnson gehört. Ich kenne seine
Musik ziemlich gut, ich habe auch über ihn ge-
schrieben. Sein Klavierspiel ist so tiefschürfend
und rhythmisch so faszinierend, dass ich zu be-
haupten wage, das Pianospiel sei im heutigen Jazz
technisch und musikalisch nicht mehr auf dem glei-
nen von Nirvana und Strawi sky. Ebenso wichtig ist ihm aber die Musik von Ahmad Jamal und James P. Johnson.
ANNICK RAMP / NZZ
uflage: 124 000
POP UND JAZZ 47
Neuö Zürcör Zäitung
wärts und rückwärts
dem amerikanischen Jazzpianisten und Blogger Ethan Iverson
als wenn man als Jazzer einen
l interpretiert. Letzteres, glau-
it einem adäquaten Arrange-
man bei einer Jam-Session auch
n Nirvana-Titel vorschlagen –
kennen, geht das nur mit spe-
nt. Das Proble ist, dass die
mpositionen zu eist nicht für
Gitarre geschrieben sind.
ie mit T e Bad Plus das Album
» herausgebracht, Ihre Interpre-
kys «Le Sacre du printemps».
«Do The Math» sch ieben Sie
en derzeit wichtiger als die Aus-
t ne er Klassik.
ndlicher zu Hause kaum klassi-
n bekam, faszinierten mich die
ch zum Beispiel in Soundtracks
-Filmen hörte. Ich mochte ver-
Ja, auch das ist ein grosses Problem! (Er lacht.) Das
hat eben viel mit der afroamerikanischen Kultur zu
tun: Als Jazz aus dem Rahmen der afroamerikani-
schen Kultur fiel, tanzte man da weiter – nun aber
zur Musik von Motown, später zu Funk, zu Hip-
Hop und so weiter. In Amerika ist es eben so, dass
immer die Schwarzen mit den hippen Rhythmen
kommen, zu denen dann ganz Amerik tanzt. Es
war 1920 so – und es ist heute immer noch so.
Ist die afroamerikanische Kultur zu peripher im
heutigen Jazz? Es gibt doch immerhin noch M si-
ker wie der Pianist Robert Glasper, die Soul und
Pop in ihre Musik integri ren . . .
Ja, ich bin sehr froh über das, was Glasper versucht,
es ist genau die richtige Idee. Es braucht mehr
Musiker wie ihn, die in diese Richtung gehen. Wir
hatten genug John Zorns (er lacht) . . . Ich bin
eigentlich ein Zorn-Fan, aber we’ve got that shit
cov red! Es braucht mehr Robert Glaspers!
Eine ganz andere Frage: Nicht wenige Jazzmusiker
befürchten, dass Download und Streaming Musik-
traditionen wie dem Jazz den Garaus machen könn-
ten. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Plattenfirma Sony 2003 unter Vertrag genommen
und noch richtig gepusht. Aber tatsächlich hätte
eine Band wie The Bad Plus heute diese Chance
wahrscheinlich nicht mehr.
In Ihrem Blog haben Sie geschrieben, Sie gingen
mus kalisch ebenso gern vo wärts wie rückwärts –
wohin führen Sie diese Ri tungen?
Ich habe kürzlich wieder einmal Aufnahmen des
Pianisten James P. Johnson gehört. Ich kenne seine
Musik ziemlich gut, ich habe auch über ihn ge-
schrieben. Sein Klavierspiel ist so tiefschürfend
und rhythmisch so faszinierend, dass ich zu be-
haupten wage, das Pia ospiel sei im heutigen Jazz
technisch und musikalisch nicht mehr auf dem glei-
chen Niveau. Pianiste wie Art Tatum, Earl Hines,
Fats Waller, Teddy Willson hatt mehr Fähigkei-
ten als die Vertreter des Modern-Jazz-Pianos. Das
liegt wohl daran, dass ie unterschiedlichen Aufga-
ben gerecht werden mussten – sie spielten solo, sie
spielten zum Tanz auf, in der Kirche und so weiter.
Sie spielten einfach sehr viel Verschiedenes. Das
zeigt sich übrigens auch noch bei Thelonious
Monk: Er gilt ja nicht als technisch besonders ver-
siert. Was er aber in seinen Solo-Aufnahmen an
ichts von Jazz ver-
usik mag, mag The
s ist nicht alltäglich
t Kompositionen von Nirvana und Strawinsky. Ebenso wichtig ist ihm aber die Musik von Ahmad Jamal und James P. Johnson.
ANNICK RAMP / NZZ
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