Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2013 - page 11

Medienspiegel
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Auflage: 7 500
J A Z Z ‘ N ‘ MO R E
R e v i e w
Langnau Jazz Nights 23. – 27.07.2013 – Freude herrscht im Emmental
Sie sind immer noch das jazzigste und
stimmungsvollste Jazz­Festival unter den
unzähligen musikalischen Sommerevents.
Die Langnauer Jazz Nights rennen nicht
den grossen Namen, sondern der guten
Musik nach. Und manchmal ist das Ein
und Dasselbe. Von Christian Rentsch
Vielleicht müsste man einfach mal vergessen
können. Etwa "Escalator Over The Hill", jenes
seltsame hermetische Avantgarde­Meisterwerk,
das Carla Bley Anfang der Siebziger für das Jazz
Composer's Orchestra komponiert hat. Oder je­
nen Auftritt des Gary Burton Quartetts mit Steve
Swallow an den Berliner Jazztagen 1967, das die
älteren Festivalstars mit seinem "Hippie"­Jazz
auf die Palmen jagte und sich dann lustig mach­
te, die alten Säcke seien bloss so sauer, weil sie
früher in die Kiste springen müssten. Oder jene
Bigband­Kompositionen von Carla Bley Ende der
die Musik von Steve Swallow und Carla Bley to­
tal. Und die beiden Alten (Swallow: 73/Bley: 75)
spielen ihre Musik mit grabernsten Mienen, ohne
jedes Augenzwinkern. Auch für den Saxo­
phonisten Chris Cheek und den Gitarristen Ste­
ve Cardenas gibt es kaum Ausbruchmöglichkei­
ten aus diesem Zuckerbäcker­Gefängnis. Aber
natürlich: Steve Swallows Kompositionen – die
meisten von der neuen CD "Into The Woodwork"
– sind in ihrer Art perfekt, alles andere als banal
und (so etwa "Unnatural Causes") harmonisch
ziemlich tricky. Und ebenso klar: Steve Swallow
ist nach wie vor ein grandioser Bassist, der
swingt wie der Leibhaftige.
Ganz anders das Quintett des Saxophonisten
Seamus Blake. Adolf Ogi würde sagen: Freude
herrscht, und tatsächlich spielt keine andere
Band des Festivals mit so überbordender Spiel­
lust. Die Musiker spielen monumental lange Soli,
ohne dass es einem als Zuhörer je langweilig
wird. Das gilt insbesondere auch für den Pia­
nisten Dave Kikoski, der seine Soli jeweils schon
auf der überholspur beginnt und dann jedes Mal
noch fünf, sechs Zacken zulegt, aber es gilt auch
für Blake und den brillanten Trompeter Alex
Sipiagin.
Ein lebender Drum­Computer
Chris Dave kannte man bisher vor allem als
Schlagzeuger des Pianisten Robert Glasper; jetzt
war er mit seiner eigenen Gruppe Drumhedz in
Langnau zu hören. Im Gegensatz zu Blakes
Schlagzeuger Ari Hoenig, der seine raffinierten
Schlagzeugfiguren munter über den klaren Puls
tanzen liess, gehört Dave eher zu den Hau­drauf­
Schlagzeugern; er ist eine Art lebender Drum­
Roboter, der jede Schlagzeuger­Olympiade ge­
winnen würde. Das ist faszinierend anzuschauen
und etwas weniger faszinierend anzuhören, denn
der permanente Trommelhagel schafft letztlich
alle, die Zuhörer ebenso wie die Mitmusiker.
Begonnen hatte der Abend mit einem etwas
verträumten jungen Mann, dem in New York
lebenden Israeli Gilad Hekselman, einem Gitar­
risten mit glasklarem Sound und einer eigenwilli­
gen Art, seine asymmetrischen, zuweilen etwas
eckig formulierten Phrasen aneinanderzureihen.
Die sublimen, spröden Klangbilder haben etwas
Zögerndes, Tastendes, das unterscheidet Heksel­
man von den meisten aktuellen Gitarristen.
Ebenso spannend war am Tag darauf der zweite
Newcomer des Festivals, der junge Freiburger
Pianist Florian Favre mit seinem Trio (Manu Hag­
man, b; Kevin Chesham, dm). Der 27­jährige Stu­
dent der Swiss Jazz School in Bern ist kein Tas­
ten­Revolutionär, der sich allzu weit zum Fenster
hinauslehnt, aber er spielt auch nicht einen die­
ser Super­Coolen, die derzeit die Schweizer Pia­
noszene dominieren. Im Gegenteil: Er strickt
seine Musik gleichsam mit heissen Nadeln; sie
hat etwas Dringliches­Drängendes. Da hört man
gerne zu, auch wenn das Trio noch etwas zu
befliessen, zu gut aufgeräumt klingt. Wenn die
erst einmal die Bremsen lösen ...
Lee Konitz – auch Monumente
bleiben nicht ewig jung
Der Altsaxophonist Lee Konitz muss nichts mehr
beweisen. Der 85­Jährige hat, man glaubt es
kaum, vor über 60 Jahren mit dem Pianisten
Lennie Tristano und dann im ersten "Birth Of
Cool"­Nonett von Miles Davis unvergängliche
Jazzgeschichte geschrieben. Konitz war damals
fast die einzige gewichtige originäre Gegen­
stimme zu Charlie Parkers Be Bop, seine weit
geschwungene, hochelegante lineare Melodik
hat Generationen von (weissen) Saxophonisten
beeinflusst und geprägt. Darf man von so einem
Monument sagen, dass sein Konzert etwas ent­
täuschend ausfiel? In Langnau spielte Konitz,
der noch bis vor wenigen Jahren hervorragende
CDs eingespielt hat, mit einem dünnen, müden
Altherrenton, und seine melodische Fantasie
sprudelt auch nicht mehr so übermässig wie
einst; aber wenn er irgendwo mitten im Stück
unversehens zu einem Solo ansetzt, ist er dann
doch wieder völlig präsent. Und erst recht die
Ballade "Body And Soul", sie zählte zu den
grossartigsten, ergreifendsten Momenten des
ganzen Festivals.
Zu den überraschungen des diesjährigen Festi­
vals gehört sicher auch der Gitarrist Vic Juris.
Der 60­Jährige ist alles andere als ein Newcomer,
er hat mit vielen prominenten Musikern gespielt,
ist auf vielen CDs zu hören. Ein tadelloser, per­
fekter Sideman; auch in Langnau steht er auf der
Bühne so unscheinbar wie halt eben ein alter,
routinierter Studio­Cat dasteht, aber dann greift
er nach dem ebenfalls brillanten Trompeter und
Bandleader Tom Hagan in die Saiten, und man ist
verzaubert. Diese Technik, diese Eleganz, diese
mühelose Virtuosität! Wie einst Joe Pass hängt
er seine quirlig fliessenden Melodiegirlanden
über die Hard Bop­Akkorde, er packt, ohne dass
er seine Gitarre heulen, kreischen oder brüllen
lässt.
Und schliesslich Trilok Gurtu, der wohl prominen­
teste musikalische Wanderer zwischen Ost und
West, zwischen klassischer indischer Musik, tra­
ditionellem Jazz und Fusion. Mit den Miles
Davis­Kompositionen "Jack Johnson" und vor
allem "Black Satin" setzte Gurtu gleich zu Beginn
einen klaren Wegweiser: Er versteht seine World
Music, sein hochvirtuoses Spiel auf der Tabla
und sein zungenbrecherischer perkussiver Sil­
bengesang nicht als exotische Folkloretümelei
auf der Allerweltspopschiene, sondern als selbst­
verständliche kosmopolitische Mehrsprachigkeit;
allerdings dann doch nicht so selbstverständlich,
als dass er es in seinen Ansagen immer wieder
betonen müsste. Und: Von seinen Mitmusikern
spielte leider nur gerade der Trompeter Matthias
Schriefel auf einem adäquaten musikalischen
Niveau, während der türkische Keyboarder Tulug
Tirpan und der deutsch­spanische Bassist
Jonathan Ihlenfeld Cuniado nicht viel mehr als
eine gerade noch einigermassen funktionierende
Begleitung boten.
Magic Blues Festival Vallemaggia 12.07. – 09.08.2013
Siebziger, anfangs der Achtziger, die sich zwar
auch schon zuweilen im Schönklang suhlten,
aber einem den leichten Genuss immerhin mit
einer gehörigen Portion Ironie vergällten. Jetzt,
dreissig Jahre später, dominiert der Wohlklang
Das Dutzend ist voll für das ”Smallest Big
Blues Festival in Switzerland”. Die zwölf­
te Ausgabe des Magic Blues Festivals
brachte auch diesen Sommer während
vier Wochen heissen und abwechslungs­
reichen Sound ins Maggiatal. Dabei profi­
tierten die Veranstalter bis auf einen ver­
regneten Abend von herrlichstem Som­
merwetter. Von Marco Piazzalonga
Insgesamt 24 Bands beschallten die heimeligen
Dorfplätze in fünf verschiedenen Gemeinden,
darunter u. a. das innovative German Blues Pro­
ject, der Slidezauberer Eric Sardinas, der talen­
tierte Gitarrist Sean Carney zusammen mit Joey
Als eine der speziellen Entdeckungen des Festi­
vals entpuppte sich Texas Slim, der seinem Her­
kunftsnamen alle Ehre machte. Der Lone Star
Sound eines Johnny Winter, Freddie King, Albert
Collins oder T­Bone Walker prägte den Stil des
als Robert Samuel Sullivan geborenen Gitarristen
und Sängers. Das dünne Männchen mit Bart und
komischem Zylinder spielte, als ginge es um sein
Leben. Erst ein sintflutartiges Tessiner Gewitter
konnte spät nachts den expressiven Texas Slim
stoppen, nachdem er zuvor noch als Gast den
Bluesharper R. J. Mischo für ein paar Songs auf
die Bühne gebeten hatte.
Exzellent auch die Royal Southern Brotherhood,
Version von ”Fire On The Mountain” z. B. besass
Allman Brothers­Qualitäten. Ein Heimspiel ge­
noss Marco Marchi mit seinen Mojo Workers.
Der Auftritt des Wahltessiners in Avegno geriet
zur Grande Fiesta für Band und Zuschauer.
Auch Fabian Anderhub riss anschliessend das
begeisterte Publikum mit seinem intensiven
Bluesrock gehörig mit. Dabei bestand seine neue
Rhythmusgruppe locker ihre Feuertaufe. Gast­
recht im Valle Maggia genoss in diesem Jahr
das Finale der Swiss Blues Challenge, bei wel­
chem die Gruppe The Bacon Fats mit einem
toughen Set verdientermass n ob naus schwang.
FOTOS: DRAGAN TASIC/PEEWEE WINDMüLLER
Trilok Gurtu
Lee Konitz
Dave Kikoski
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