Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2013 - page 3

Medienspiegel
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Auflage: 130 000
KUNST
Die Ausstellung «Wunderland» bezaubert mit Video-
und Soundinstallationen, Malerei und Skulpturen. Immittel-
alterlichen Château de Rue stösst man auf tierische Schatten-
spiele, gerät in einen virtuellen Schneesturm oder lustwandelt
durch einen singenden Garten.
«Warum bin ich schon wieder
der Bär?», beschwert sich ein
Mann, der gerade vor Camille
Scherrers interaktiver Videoin-
stallation steht. «Vielleicht, weil
du ein Bär bist», kontert seine
weibliche Begleitung. Die ver-
spielte und interaktive Arbeit
«Inthewoods»beschertdemBe-
sucher nach dem Zufallsprinzip
Als Bär oder Hirsch durchsWunderland
regelmässigen Abständen ver-
sucht das symbolträchtige Tier
mit kräftigem Flügelschlag zu
entkommen, verliert sich aber
in der Architektur und löst sich
schliesslich im Raum auf. «Die
Eule, Sinnbild für Weisheit, ver-
liert zunehmend ihren Lebens-
Wand projizierten Uhu ins Auge
gefasst. «Fokus III» der Zürche-
rin Ursula Pallas spielt auf das
zwiespältige Verhältnis von
Mensch und Natur an.
Der Uhu ist angekettet und
steht still und beobachtend da,
wird beinahe zur Tapisserie. In
Silhouetten von vorangehenden
Besuchern der Installation.
Phantome, die fortan für immer
im Schneetreiben gefangen sind.
Im Blick des Uhus
Im selben Raum wird der Besu-
cher von einem riesigen, auf die
mierte Silhouette eines Hir-
sches, mal die eines Füchsleins
verpasst. «Um den Betrachter in
meinenWald zu entführen, spie-
le ich mit Trompe-l’œil-Effek-
ten», sagt die in Vevey lebende
Künstlerin. «In the woods» passt
bestens ins «Wunderland», der
von Ursula Wittmer kuratierten
Ausstellung im Château de Rue.
DieKuratorinbespieltdaspriva-
te Schloss aus dem 12.Jahrhun-
dert bereits zum dritten Mal mit
Malerei, Skulpturen, Video- und
Soundinstallationen. Insgesamt
vierzehn Kunstschaffende, da-
von sechs aus der Deutsch-
schweiz,sechsausderRomandie
undzweiausdemAuslandhatsie
eingeladen.
Gespenster im Schnee
Die bewegten Bilder wirken in
den alten Schlossmauern beson-
ders reizvoll. Im kühlen Keller
tobt ein virtueller Schneesturm:
«Ghost» ist eine technisch auf-
wendige Arbeit von Thomas
Eberwein. Der Betrachter sieht
in einer kargen Landschaft die
einen tierischen Schatten. Man
wird Teil einer Fabel und beein-
flusst mit den eignen Bewegun-
gen das Spiel: Mal bekommt der
eigene Schattenwurf die ani-
«Die Eule, Sinnbild
für Weisheit, ver-
liert zunehmend ih-
ren Lebensraum
und steht hier für
die verkaufte
Natur.»
Ursula Pallas, Künstlerin
raum und steht hier für die ver-
kaufte Natur und abhanden ge-
kommenes Wissen», sagt die
Künstlerin. Dem seit der Antike
als Unglücksbote und später als
«Hexenvogel» verschrienen Tier
haftet aber – gerade im Kontext
desmittelalterlichenSchlosses–
auch etwas Unheimliches und
Verwunschenes an.
Akustisches Wunder
Absonderliches geht auch im
Garten des Schlosses vor sich.
Unter knorrigen Obstbäumen
lustwandelnd erlebt man sein
akustisches Wunder: Die aus
500 Metallstiften bestehende
Toninstallation des Franzosen
Rudy Decelière beschallt den
Spaziergänger mit dezenten
Tönen aus der Umgebung. Eine
Intensivierung und Verdich-
tung der besonderen Art: Es ist,
als ob man durch einen singen-
den Garten ginge. Kunst und
Natur werden eins, die Sinne
sind leicht verwirrt. Man ist de-
finitiv angekommen im Wun-
derland.
Helen Lagger
Ausstellung:
Bis am 11.8.
im Château de Rue FR,
Fr, Sa und So 11–18 Uhr.
FESTIVAL
Als Jazzmusiker
wollte er nie gelten. Dennoch
liest sich die lange Liste seiner
Mitmusiker wie einWho is
who der Jazzszene: Der in-
dische Perkussionist Trilok
Gurtu beehrt mit seiner Band
die Langnau Jazz Nights.
In jungen Jahren hörte Trilok
Gurtu in Mumbai im Radio Jimi
Hendrixundversuchte,dieSongs
nachzuspielen–aufderTabla,ei-
ner Handtrommel, bei der man
verschiedene Tonhöhen anschla-
gen kann. So zumindest geht die
Geschichte, die Gurtu gerne über
sich selbst erzählt.
Verbürgt ist, dass Trilok Gurtu
früh ein äusserst begabter Tabla-
spieler war und sich für mehr in-
teressierte, als die traditionelle
indische Musik. Aufgewachsen
ist der Perkussionist in einer Fa-
milie der indischen Oberschicht.
Sein Grossvater war ein bekann-
ter Sitarspieler, seine Mutter
ShobaGurtueinederberühmtes-
ten indischen Sängerinnen. Be-
reits als Teenager trat Gurtu in
den westlichen Hotels und Kinos
von Mumbai auf und kam so in
Kontakt mit westlicher Musik.
Gefragter Sideman
Sich selbst bezeichnete Gurtu nie
als Jazzmusiker. Auch das Label
Worldmusic lehnte er für seine
Musik stets ab. Er meinte einmal:
«Ich bin kein Jazzmusiker, nur
weilichimprovisierteMusikspie-
le. Die meiste Musik dieser Welt
ist improvisiert. Ich bin zu hun-
dert Prozent indischer Musiker.»
Seine Karriere führte ihn rund
um den Globus und mit den ver-
schiedensten Musikern zusam-
men. Dies begann in den 70er-
Jahren mit dem Saxofonisten
Charlie Mariano und etwas spä-
ter mit dem schwedischen Trom-
peter Don Cherry. Rasch wurde
der Tablaspieler zum gefragten
Sideman. Er spielte mit Grössen
des Jazz der 70er-Jahre wie John
McLaughlin, Pat Metheny, John
Zawinul oder Jan Garbarek. Ab
Mitte der 80er-Jahre trat Gurtu
vermehrtselbstalsBandleaderin
Erscheinung. Sein Debütalbum
«Usfret» von 1987 war noch ein
kommerzieller Flop. Das sollte
sich in den kommenden Jahren
ändern. Insbesondere die Alben
«African Fantasy» und «Re-
membrance» von 2000 bezie-
hungsweise2002verkauftensich
ausgezeichnet, auch wenn sie
nicht seine besten waren. Sie
machten zu grosse Konzessionen
an westliche Hörgewohnheiten.
Herausragendes Album aus Tri-
lok Gurtus umfassender Disko-
grafie ist bis heute das wunder-
bare «The Glimpse» von 1997.
Auch mit den Jahren hat es
nichts an Frische und Unver-
brauchtheit eingebüsst.
Eklektizismus oder Kitsch?
Die Urteile über Trilok Gurtus
Musikgehenauseinander:Eklek-
tisch, sagen die einen. Effekt-
hascherischen Ethnokitsch wer-
fen die anderen ihm vor. Beides
stimmt. Einerseits ist Gurtu kei-
MusikalischerWeltbürger imEmmental
ner,
der die oberflächliche
Begeisterung für das exotische
andere zum musikalischen Refe-
renzpunkt macht. Seine enor-
men Kenntnisse der traditionel-
len indischen Musik und ihrer
hochkomplexen Rhythmen be-
wahren ihn vor der Exotisierung.
Andererseits kranken nicht we-
nige Projekte, in denen er als
Sidemanengagiertwar,geradean
diesem exotisierenden Blick: Die
Formel «Jazzformation trifft auf
PROGRAMM
Die
Langnau Jazz Nights (23. bis
27. Juli)
werden am Dienstag
vom Saxofonisten Seamus Blake
und seiner Band eröffnet. Das
zweite Konzert bestreitet das
Steve Swallow Quintet mit Carla
Bley an der Hammondorgel. Am
Mittwoch stehen das Gilad Hek-
selman Trio und Chris Dave and
the Drumhedz auf dem Pro-
gramm. Den Donnerstagabend
eröffnet der junge Westschwei-
zer Pianist Florian Favre mit sei-
nem Trio, gefolgt vom Lee Konitz
Quartet. Das Bill Carrothers Trio
und das Tim Hagans Quartet
spielen am Freitag. Vor der Trilok
Gurtu Band am Samstag präsen-
tiertsichdasJuniorJazzworkshop
Orchestra. Und unter dem Na-
men The Teachers geben jene
Musiker ein Konzert, die wäh-
rend des Festivals die traditionel-
len Jazzworkshops leiten.
loh
Konzerte:
je 20.30 Uhr und 22.15
Uhr, Trilok Gurtu Band, Sa, 27.7., 23
Uhr, Kupferschmiede, Langnau.
traditionellen Musiker», für die
Gurtu so oft als Sideman enga-
giert wurde, ist per se eine hoch-
problematische Konstellation.
Da hilft musikalische Genialität
nur bedingt weiter.
Nach Langnau kommt Trilok
Gurtu mit seinem eigenen Trio
und stellt sein jüngstes Projekt
vor: Das Album «Spellbound» ist
eine Hommage an seinen musi-
kalischen Weggefährten Don
Cherry.
David Loher
Genialer Musiker:
An die Langnau Jazz Nights kommt Trilok Gurtumit seinem eigenen Trio.
JosLKnaepen/zvg
Kultour
Donnerstag
18. Juli 2013
24
Interaktives Schattentheater:
«In
the woods» von Camille Scherrer.
zvg
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