Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2018

R e v i e w s Die Zahl der illustren Namen des zeitgenös- sischen Jazz, die Walter Schmocker und sein bewährtes Team jedes Jahr ins Em- mental holen, ist erstaunlich, und dabei kann man ihnen erst noch fast familiär in der relativ kleinen Kupferschmiede begeg- nen. Die 28. Jazz Nights Langnau begannen diesmal mit moderneren Tönen von ”Steve Coleman and Five Elements”. Das aktuelle Quintett mit Cole- man (as), seinem Alter Ego Jonathan Finlayson (tp), dem E-Bassisten Anthony Tidd und Sean Rickman (dr) enthielt neu Kokayi (rapping, mouth percussion) und demonstrierte mitreissend den absoluten Vorrang des Rhythmus in der afrika- nisch-amerikanischen Musik. Schon die Artiku- lation und Gestalt der einleitenden Soli des Alt- saxophonisten hatten auch den Charakter eines Perkussionsinstruments – gleich wie die Worte und Laute des ungemein temposicheren mund- fertigen Rappers. Eng verzahnt mit den intensi- ven, von Hip-Hop hergeleiteten Grooves, die der polternde Bass und das permanent solierende Schlagzeug hinlegten, erfanden die Bläser ge- trennt oder gemeinsam ihre langen panmodalen ”Melodien” – mit Einzeltönen, kurzen Motiven und längeren Gebilden, durchsetzt mit weiten Sprüngen und ständigen Lücken und vereinzelt auch kurz um ein Pattern rotierend. Und mitten im Getümmel dann plötzlich eine verdrehte Uni- sono-Passage als Übergang oder als abrupter Abschluss. Die Intensität wuchs bis zur Zugabe, in der ein Glanzbeispiel afrikanischer Polyrhyth- mik allmählich ”abgekühlt” wurde. Am Ende einer Europatournee und entsprechend in Form präsentierte der omnipräsente Bassvir- tuose Christian McBride danach ”New Jawn”, sein Quintett ohne Harmonieinstrument. Zum Re- pertoire steuerten alle bei, der neue Trompeter Josh Evans, der beschlagene, klar formulieren- de Marcus Strickland (ts, bcl) und der ebenso er- fahrene Nasheet Waits (dr). Was zuerst wie gän- giger Postbop klang, gewann doch starke per- sönliche Züge, besonders wegen den eigenen Arrangements mit originellen Kombinationen und überraschenden Wendungen. Der gitarrenhaft gezupfte oder gestrichene Bass war dabei auch das dritte Melodie- und meisterliche Soloins- trument. In ihren Soli riskierten Strickland und Waits einiges, öffneten Tonalität und Rhythmus und schnupperten am Free Jazz. Jürg Solothurnmann Die Herren Mehldau, Grenadier und Ballard bil- den seit vielen Jahren ein von Kritik und Publikum gefeiertes Trio. Im Gegensatz zu seiner genialen Sturm-und-Drang-Phase geht es Mehldau heut- zutage stärker um Kontrolle und Eleganz, wobei er allerdings in seinen Improvisationen nach wie vor ein hohes Mass an Abstraktion erreicht. In Langnau griff Mehldau vornehmlich auf ältere Eigenkompositionen zurück, vom aktuellen Al- bum ”Seymour Reads the Constitution!” stand nur gerade sein ”Ten Tune” auf dem Programm. Keine Frage: Mehldaus Stücke sind alles andere als Dutzendware, sondern durchdachte Prezio- sen. Und doch soliert er wesentlich beseelter und befreiter, wenn er auf Stücke aus dem ”Great American Songbook” zurückgreift. So blitzte bei einer schnellen Version von ”Long Ago and Far Away” viel interaktiver Spielwitz auf. Und mit der Slow-Motion-Version von ”I Should Care” ging es direkt in den Balladenhimmel. Tom Gsteiger Lebende Legenden wirken oftmals nicht mehr sehr lebendig. Der 77-jährige Schlagzeuger Billy Hart ist allerdings nach wie vor ein Ausbund an Vitalität. Was er mit seinem Quartett veranstal- tete, war kein Konzert, sondern ein Erweckungs- erlebnis, bei dem zuweilen die Erde zu beben schien. Dass der Tenorsaxophonist Joshua Red- man ganz schön aufdrehen kann, ist längst kein Geheimnis mehr. Doch von Hart wurde er in ei- nigen Nummern derart aufputschend begleitet, dass er über sich hinauswuchs. Für einen starken Kontrast zu Redman sorgte der Pianist Ethan Iverson mit hinterlistigen Improvisationen, in de- nen er einfache Ideen nach und nach verkompli- zierte. Der Bassist Ben Street solierte zwar kein einziges Mal, agierte aber als Begleiter hellwach und ideenreich. Dieses fabulöse Quartett deckte ein enormes emotionales Spektrum ab – von mysteriöser Introspektion über bluesige Erdigkeit bis zum ekstatischen Beinahe-Chaos. Die exis- tenzielle Botschaft von grundlegenden Musikern wie Charlie Parker und John Coltrane wird von Harts Quartett am Leben erhalten. Tom Gsteiger optimal aufeinander eingespielt und oft leise und andeutend bis zum Schweigen, aber fast ein we- nig geschmäcklerisch voll von Nuancen und Ef- fekten, so präsentierte der Pianist Aaron Gold- berg am Freitag sein Trio. Er und seine afrika- nisch-amerikanischen Kollegen Reuben Rogers und Leon Parker sind schon lange ein Team und haben sichtlich immer noch Spass, ihre oft zum festen Arrangement kristallisierten Versionen von amerikanischen und besonders brasilianischen Standards aufzuführen. Die kurzweiligen Abläufe mit wechselnder Gangart und Dynamik und mit präzisen Passagen, Übergängen und Schlüssen erinnerten an die Dramatik des Ahmad Jamal Trios. Wenn etwa Klavier und Bass hochvirtuos in rasantem Unisono spielten und Parker nur tro- cken mitphrasierte, um sich allmählich in ein Fu- rioso zu steigern, hatte das etwas Akrobati- sches, riskant, aber kontrolliert. Die Möglichkei- ten des Klaviertrios wurden ausgeschöpft und jeder kam auch ausgiebig zum Solospiel. Eine kleine Sensation waren Parkers Einlagen mit scatartigen Lauten und ganzen, auf seiner Brust gespielten Trommelsoli. Der strahlende, deutlich artikulierende Stil von Dave Douglas und der kehlige, manchmal nu- schelnde und heiser ausrufende Ausdruck von Joe Lovano bilden einen attraktiven Gegensatz. Fast stoisch begann der Auftritt des Trompeters und des Tenorsaxophonisten mit Eigenem, ge- folgt von Themen Wayne Shorters, dessen Musik Anlass zu ihrer Quintettgründung war. Im Gegen- satz zum Trio zuvor deuteten die Bläser die The- men fast nur an. Sie schaukelten sich gegenseitig hoch und spielten und ”duellierten” sich mit offe- nen und halb abstrahierenden Phrasen und mit abrupten Anfängen und Enden. Mit Ausnahme von Schlagzeugbreaks war wenig Interplay mit der Rhythmusgruppe zu hören, was auch an der Saalverstärkung liegen mochte. Die jungen Mc- Coy-Tyner-inspirierten Lawrence Fields (p), Ya- sushi Nakamura (b) und Joey Baron (dr) wirkten eigenartig verhalten und losgelöst. Jürg Solothurnmann Die 25. Ausgabe des Stimmen Festivals zog erneut fast 20‘000 Fans aus Deutschland und dem angrenzenden Ausland an die ver- schiedenen Spielorte in und um Lörrach. Bei heissen und sternenklaren Nächten präsen- tierte das Team um Festivalchef Markus Muffler ein buntes Programm. Hier einige Highlights. In der Zuschauergunst ganz weit vorne lag erwar- tungsgemäss Robert Plant. Der beinahe 70-jähri- ge Sänger der Kultband Led Zeppelin wurde auf dem ausverkauften Marktplatz frenetisch gefei- ert. In bester Verfassung und mit noch immer kraftvoller Stimme präsentierte er dem Publikum eine Mischung aus Led-Zeppelin-Klassikern, wie dem herrlich lasziven ”Lemon Song”, sowie Stü- cke aus seinem elften Soloalbum. Aber fangen wir von vorne an. Noch vor der offiziellen Eröff- präsentierte mit klarer, frischer Stimme und mü- helosem Klavierspiel ihre neue CD ”Paris in the Rain”, eine Hommage an ihre Wahlheimat. Eröff- net wurde das Festival dann am 17. Juli mit dem eleganten Auftritt des deutschen Jazzsängers Jeff Cascaro. Er brillierte nicht allein mit seiner grossartigen Stimme, sondern zeigte auch sein Können an der Trompete. Von klassischen Balla- den wie ”Ain’t No Love” oder ”Since I Fell For You” bis hin zu rassigen Rhythm’n’Blues-Num- mern, sein Repertoire schien endlos und wurde emotional und mit viel Groove vorgetragen. Einen denkwürdigen Auftritt lieferte Dweezil Zappa, der es wie kein anderer versteht, die Musik seines Vaters Frank auf die Bühne zu bringen – eine geradezu geniale Leistung! Frank Zappas Musik ist hochkomplex, intelligent, frei von Stilgrenzen mit einem Hang zum Zynismus und zur Verrückt- unterstützt von einer grandiosen Band. Hier seien stellvertretend der geniale Drummer Ryan Brown genannt sowie Sheila Gonzalez, Multiinstrumen- talistin, Saxophonistin und Sängerin, die das Spiel der wechselnden Rollen, das Frank Zappa so lieb- te, hochauthentisch inszenierte. Dorothea Gängel Langnau Jazz Nights 2018, 24.7. – 28.7.2018 Stimmen Festival Lörrach, 8.7. – 5.8.2018 FoTo: DRAGAN TASIC ESSICA MÜLLER Ethan Iverson, Joshua Redman, Ben Street, Billy Hart J A Z Z ‘ N ‘ MO R E

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