Medienspiegel Langnau Jazz Nights 2022

8 R EVI EWS J A Z Z 30. Langnau Jazz Nights 26.–30.7.2022 – zurück zu den schönen Melodien Die Langnau Jazznights, das vielleicht stimmungsvollste und trotz vieler grosser Namen familiärste Schweizer Jazzfestival, wird 30 Jahre alt und macht einfach weiter wie bisher. Das hat sich wohl auch der international renommierte Emmentaler Bassist Walter Schmocker nicht so vorgestellt, als er, des ewigen Herumreisens müde, vor über dreissig Jahren nach Langnau zurückkehrte, einen exquisiten Weinhandel eröffnete und 1989 zum ersten Mal Workshops für ambitionierte Amateure initiierte. Zwar sind die Workshops, inzwischen auch für angehende Berufsmusiker und Jugendliche, immer noch ein wichtiges Standbein der Langnauer Jazznights und deren Auftritte am Nachmittag auf dem Dorfplatz tragen viel dazu bei, dass das Festival zugleich auch ein Art Dorffest geworden ist. Aber seit dreissig Jahren hat sich im Kulturzentrum Kupferschmiede unter der Leitung von Schmocker und seiner Tochter Angela ein Festival etabliert, das von den amerikanischen Topstars fast ebenso geliebt wird wie von den treuen LangnauFans – und der einheimischen Bevölkerung. "Hey, we're gonna play music of the 20th century", ruft er in den Saal, aber entschuldigend klingt das ganz und gar nicht, obwohl wir bereits seit zwei Jahrzehnten im 21. Jahrhundert unterwegs sind. Der Gitarrist John Scofield, im vergangenen Jahr 70 geworden, hält Rückschau, nicht bloss auf den Jazz, mit dem er berühmt geworden ist, sondern auch auf die Musik, mit der er gross geworden ist: Rock'n'Roll, Blues & Country, Bob Dylan, Buddy Holly & Hank Williams. Vor allem aber spielt er Scofield: souverän, abgeklärt, aber immer noch bei bester Spiellaune, eine groovige Musik ohne schnellfingrige Virtuosen-Show und Kreisch- und Aufheul-Exzesse, ohne überflüssige Noten, elegante Soli mit fein dosierten kleinen Ecken und Kanten. Über die routiniert swingende Rhythmusgruppe gibt es weder Negatives noch allzu viel Positives zu sagen. Routiniert auch die amerikanische Pianistin Lynne Arriale; Ihr Auftritt beginnt mit dem Gospel "Sometimes I Feel Like a Motherless Child" und endet mit dem Beatles-Song "Let It Be", den Arriale so verlangsamt spielt, dass er sich in eine sanfte Friedenshymne verwandelt. Dazwischen einige Standards und Eigenkompositionen. Was man etwas vermisst, ist die Spielfreude, so wirkt die Musik bei aller pianistischen Perfektion zuweilen fast ein bisschen langweilig, eine Art Bettmümpfeli-Jazz, der auch durch einige irgendwie politisch gemeinte Ansagen ("We don't give up!") nicht unbedingt aufregender wurde. Was im gängigen Mainstream seit einigen Jahren auffällt, die Rückbesinnung auf schöne, eingängige Melodien – eine Antwort der mittlerweile grauhaarigen Routiniers auf die zumindest musikalisch einfallslosen Sprechgesänge der Rapper? –, prägt auch einen Grossteil der Musik auf der Bühne der Kupferschmiede: Man lässt die romantische Phrase, den Schönklang zu, ohne ironisches Augenzwinkern oder den Versuch, die Melodien durch "Dekonstruktion" neu zu erfinden, wie es heute allerorts heisst. Dass man sich dabei manchmal auf einem schmalen Grat bewegt, wo Absturz in Kitsch, Naivität oder Belanglosigkeit droht, liegt dabei auf der Hand. Einen anderen Weg als Arriale geht der französische Sopransaxophonist Emile Parisien: Er erzählt auf seinem Instrument in weit ausgedehnten Spannungsbögen wilde, fulminante Geschichten von überquellender Fantastik, mit überraschenden Wendungen und Windungen, als ob hinter jeder Phrase irgendein Räuber lauert, aus jeder Harmonie eine Prinzessin lächelt. Mit dem Trompeter Theo Croker, dem Gitarristen Manu Codjia und der zugkräftigen Rhythmusgruppe um den brillanten Schlagzeuger Nasheet Waits hat sich Parisien fünf amerikanische Studio-Cracks ins Boot geholt, die sich noch so gern von seinem Enthusiasmus und herzhaften Spiellust anstecken liessen. Und das begeisterte Publikum wäre dem hochvirtuosen französischen Rattenfänger wohl auch bis in die Hölle gefolgt. Nicht den grossen, saftigen Abenteuerroman, sondern gleichsam geistreich funkelnde Erzählungen bot der amerikanische Bassist Avishai Cohen mit seinem "Shiftings Sands"-Trio, einem PianoTrio der eher ungewöhnlichen Art, das Piano, Bass und Schlagzeug völlig gleichberechtigte Rollen zuwies. Ein gleichsam herrschaftsfreier Dialog, ein intellektuelles Glasperlenspiel, das vor allem die junge Schlagzeugerin Roni Kaspi meisterhaft nutzte. Die erst 22-jährige Israelin gehört nicht zu jener riesigen Armee rockinspirierter Drummer, die unaufhörlich Felle und Becken traktieren und noch jede kleinste Lücke mit stramm krachenden Patterns zutrommeln; sie gehört zur Minderheit jener Musikerinnen, die mit ihrem Schlagzeugspiel Räume öffnen, die zugleich ihre eigenen Wege gehen, frei über den Puls hinwegspielen und Lücken zulassen, aber zugleich jederzeit zur Stelle sind, um den Ideen der Mitspieler den rhythmischen Kick zu geben. Ein absolutes Ausnahmetalent! Nicht ganz die Erwartungen erfüllte das Quartett der hochgepriesenen 40-jährigen Altsaxophonistin Lakecia Benjamin mit seinem "Pursuance"- Projekt, einer Hommage an Alice und John Coltrane. Nicht ganz verwunderlich, denn: Die beiden Coltranes sind nicht unvergesslich wegen ihrer Kompositionen, sondern wegen ihres charismatischen Spiels, ihrer Spiritualität, ihrer musikalischen Inbrunst und Ekstase. Das alles aber steckt nicht in den Noten und John Coltranes Art, "Sheets of Sound", hymnische Klangflächen, so übereinanderzuschichten und zu verdichten, bis sie in einem orgiastischen Rausch explodieren, lässt sich nicht einfach notengetreu kopieren. Der vermutlich einzig gangbare Weg, die Coltranes zu ehren, wäre wohl eine Musik, die sich nicht im Geringsten mit Coltranes Ekstase-Musik vergleichen lässt. So aber wirkte Benjamins ColtraneHommage bei allem Ehrgeiz wie Orgelmusik aus dem Ghetto-Blaster im St. Petersdom. Da haben es die vier Schlachtrösser von Yellojackets um den Saxophonisten Bob Mintzer und den Keyboarder Dane Ferrante einfacher. Sie brauchen, nach einem 40-jährigen Höhenflug als eine der wichtigsten Fusion-Bands, nur sich selber zu zitieren und liegen damit völlig richtig. Dass sie das nicht mehr ganz mit dem Enthusiasmus ihrer Jugendjahre machen, sondern mit der hochprofessionellen Routine jener, die alles können, aber nichts mehr müssen, verzeiht man ihnen gern. Hey, sie spielen ja auch die Musik des 20. Jahrhunderts, die sie selber miterfunden haben. Christian Rentsch FOTOS: FOTO-GRAF.CH Yellowjackets Emile Parisien John Scofield

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